Mit Blick auf das bevorstehende Weihnachtsfest schrieb ich vor 5 Jahren die folgenden Zeilen an einen Bekannten.
23.12.2012
Betreff: Trost
Lieber Rolf,
hab vielen Dank für deine Zeilen! Jedes An-uns-Denken tut in dieser Zeit besonders gut. Ich glaube, Auÿenstehende unterschätzen manchmal, dass Worte, Gesten, Grüÿe, Zeichen der Zuwendung und des Ich-bin-in-Gedanken-bei-euch sehr wohl hilfreich und ermutigend sein können. Von Jörg Zink habe ich zum Thema Trost gelesen:
„Trost besteht ja nicht darin, dass etwas Schönes
gesagt wird oder Honungsvolles. Das mag eines
Tages dazukommen und dann auch notwendig und
hilfreich sein. Trost liegt darin, dass mitten im entgleitenden,
im tödlich wegbrechenden Leben ein lebendiger
Mensch ist, der auf ein Stück seiner eigenen
Lebendigkeit verzichtet, um an der tödlichen
Bedrohtheit der Seele eines anderen Menschen teilzunehmen
[. . . ]
Trost ist eine Insel in einem Meer von Verzweiflung.
Eine Insel im Meer der Zeit. Es ist ein Augenblick,
in dem ein Mensch Boden unter den Fü-
ÿen empndet, ehe das Wasser ihn wieder zu verschlingen
droht. Trost ist, dass es solche Inseln gibt.
Worte und Zeichen …“ *
Nun stehen die Feiertage vor der Tür. Im Vorfeld haben Uwe und ich viel darüber nachgedacht, wie wir dieses erste Weihnachten ohne Marlene und so kurz nach ihrem Tod feiern oder besser begehen wollen. Wichtig für diese Überlegungen war Friedrichs klar geäußerter Wunsch: Ich will, dass alles so wie immer ist. Diesen Wunsch verstehe ich gut. Angesichts so großer Erschütterungen und Veränderungen ist es für ihn unheimlich wichtig, dass manche Dinge einfach so sind, wie er sie kennt, dass es vertraute Gewohnheiten und Rituale gibt, an denen er sich orientieren und festhalten kann. Klar war aber auch, dass dieses Weihnachten eben ganz und gar nicht wie immer sein wird, sein kann. Gerade in diesen Tagen wiegt Marlenes Fehlen schwer. Und auch für die Gefühle, die dieses Fehlen nach sich zieht, soll Raum sein. Also werden wir Vieles genauso machen, wie in den Jahren zuvor und Manches anders.
Wie jedes Jahr werden wir heute, am Vortag des Heiligabends, den Weihnachtsbaum aufstellen und gemeinsam herausputzen.
Wie jedes Jahr werden wir morgen Vormittag einen Spaziergang mit Freunden machen, um den Tieren des Waldes etwas in ihre Krippe zu legen.
Anders als in den letzten Jahren werden wir nachmittags vor der Bescherung einen Ast aus dem Baum schneiden, ihn schmücken und zu Marlene auf den Friedhof bringen. Dadurch können wir mit ihr zusammen Weihnachten feiern, und auch die Lücke, die durch ihren Tod da ist, wird sichtbar in unserem Wohnzimmer.
Wie jedes Jahr werden wir Besuch von Freunden bekommen und Uwes Familie treen. Dieses Jahr haben wir jedoch mehr Zeit für uns allein eingeplant. So kommen wir hoentlich einigermaßen durch die Tage, mit Marlene im Herzen . . .
Gute Feiertage, in denen ihr euch beschenkt fühlt vom Leben und voneinander, wünsche ich auch dir, lieber Rolf, und den Deinen.
Herzliche Grüße,
D.
* Zink, J.: Zu diesem Buch, in: Mechthild Voss-Eiser (Hg.), Nochmal sprechen von der Wärme des Lebens. Texte aus der Erfahrung von Trauernden. Freiburg i.B, 2012, 19.